Zeitzeugin Karla Spagerer besucht das Elisabeth-Gymnasium

Am 26. Februar 2025 hatte das Elisabeth-Gymnasium einen besonderen Gast: Die 95-jährige Zeitzeugin Karla Spagerer berichtete, unterstützt durch den SPD-Politiker Stefan Fulst-Blei (56), vor der 10. und 11. Klasse über ihre Erlebnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Stefan Fulst-Blei betonte zu Beginn der Veranstaltung die Bedeutung der Erinnerungskultur: „Ihr seid die Zukunft und nach diesem Tag selbst Zeitzeugen.“ Ein Satz, der den Zuhörer*Innen die Tragweite des Geschehens bewusst machte.

Karla Spagerer wurde 1929 in Mannheim geboren und erlebte die Schrecken des Krieges als Kind. Ihre Familie war politisch verfolgt: Ihre Großmutter unterstützte inhaftierte Widerstandskämpfer der Mannheimer Lechleiter-Gruppe mit Lebensmitteln und Geld und wurde 1936 zu 18 Monaten Haft verurteilt. Ihre Mutter stammte aus einer kommunistisch geprägten Familie mit sechs Kindern, die in großer Armut aufwuchsen. Ihr Onkel Erwin Reis floh mit seiner Frau nach Moskau, um den Verhaftungen zu entgehen, doch dort wurde er Opfer der stalinistischen Säuberungen. Spagerer schilderte, wie sie als junges Mädchen die Verhaftungen und Misshandlungen von Bekannten miterlebte. Ihr Vater arbeitete in einer Firma, die zwei jüdischen Schwestern gehörte. Er riet ihnen frühzeitig, Deutschland zu verlassen, da es für sie hier nicht mehr sicher sei. Am 9. November 1938, in der Reichspogromnacht, sah die damals neunjährige Karla überall in der Stadt SA-Männer. Sie betont: „Wer in solcher Zeit aufgewachsen ist, ist früher reif als die heutige Jugend.“ Als sie sah, wie jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört wurden und von den Bewohnern noch Geld verlangt wurden, äußerte sie empört: „Erst machen sie alles kaputt und dann verlangen sie noch Geld.“

Mit den Jahren wurde ihr das Ausmaß der Verbrechen bewusst: Sechs Millionen ermordete Juden in nur zwölf Jahren, insgesamt 60 Millionen Tote durch den Krieg. Die jüdischen Schwestern, für die ihr Vater gearbeitet hatte, wurden ebenfalls ermordet – eine Tatsache, die sie erst 60 Jahre später erfuhr. Schon als Kind stellte sie sich die Frage: „Wer hat das Recht, einen Menschen zu töten?“ Als der Krieg am 1. September 1939 begann, wurden Luftschutzbunker errichtet. In diesen standen dreistöckige Betten, die sich mehrere Menschen teilen mussten. Der Schulunterricht wurde durch den Krieg stark eingeschränkt, viele Lehrer gab es nicht mehr. Ein Lehrer, der überzeugter Nazi war, erzählte den Schülern nichts von den Opfern und leugnete die Verbrechen.

Die Ereignisse des 15. September 1942 waren besonders prägend für Karla Spagerer. Ihre Großmutter schickte sie an diesem Tag los, um ein Plakat zu lesen. Dort erfuhr sie, dass 14 Mitglieder der Lechleiter-Gruppe durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Die damals Dreizehnjährige musste diese traurige Nachricht den Angehörigen überbringen, die in der Wohnung ihrer Großmutter warteten.

In der Folgezeit nahmen die Fliegerangriffe stetig zu. 1945 war es kaum noch möglich, das Haus zu verlassen. Am 27. März 1945 besetzten amerikanische Truppen die Mannheimer Innenstadt. Die Nachricht „Der Krieg ist aus!“ verbreitete sich schnell. Doch auch nach Kriegsende herrschten weiterhin Gewalt und Morde. Die Nachkriegszeit war von Hunger, Armut und Entbehrungen geprägt. Die Menschen hatten kaum etwas zu essen, Schuhe waren eine Seltenheit – viele liefen barfuß oder trugen schmerzhafte Holzschuhe. Kleidung und andere lebensnotwendige Dinge wurden untereinander getauscht. Doch trotz all dieser Not waren die Menschen glücklich, dass der Krieg endlich vorbei war.

Heute lebt Karla Spagerer seit 80 Jahren in einer Demokratie. Dennoch beobachtet sie die gegenwärtigen Entwicklungen mit Sorge. Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit einem Freund in einem Café, der meinte, dass die Gewalt in Mannheim auf die Ausländer zurückzuführen sei. Sie widersprach entschieden: „Du liegst falsch. Hör mir gut zu: Wenn du einmal krank wirst und du rufst nach deutschen Ärzten und Krankenschwestern – sie alleine können sich nicht um dich kümmern!“ Sie betonte, dass man nicht alle Menschen über einen Kamm scheren dürfe. Weiterhin äußerte sie ihr Unverständnis darüber, dass Menschen Parteien wie die AfD oder die BSW wählen. Ihr Rat an die Jugendlichen: „Lest viel!“

Mit einer eindringlichen Mahnung beendete sie ihren Vortrag: „Vergesst die Geschichte nicht! Setzt euch aktiv für eine gerechte Gesellschaft ein!“ Dieser Tag wird den Schüler*Innen des Elisabeth-Gymnasiums sicherlich in Erinnerung bleiben.

(Emina Subašić, J1)